Beschreibung
Bildungseinrichtungen sind zentrale Orte der Vergemeinschaftung. Sie sind Mikrokosmen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Der Kindergarten ist die erste Institution, in der Kinder außerhalb ihrer Familie Bildung und Erziehung erfahren. Daher wird in Kindergärten die Basis für das Zusammenleben in der Heterogenität der (Post-)Migrationsgesellschaften geschaffen. Hier werden Subjektpositionen erprobt, hier wird Interaktion geübt, hier wird Gemeinschaft erfahren. Man sollte also meinen, dass Elementarpädagog*innen in ihrer Ausbildung für Fragen von Macht und Differenz sensibilisiert werden, um Rassismus, Sexismus, Ableismus, Adultismus und anderen Diskriminierungsformen vorzubeugen, die in der Gesellschaft vorherrschen, jedoch im Widerspruch zu einer menschenrechtsbasierten Demokratie wie der österreichischen stehen. Das Gegenteil ist leider der Fall. Diese Themen werden erst sehr zögerlich in die Curricula eingeführt. Entsprechend sind die Mehrzahl der Kindergärten keine Orte, an denen machtvolle Differenzverhältnisse abgebaut, sondern in denen sie re/produziert werden.Dieser Vortrag stellt die Ergebnisse einer qualitativen empirischen Studie über die soziale Praxis des ‚Doing Difference‘ in elementarpädagogischen Einrichtungen Oberösterreichs, Salzburgs, der Steiermark und Wiens vor. Zugrunde liegen knapp 700 Stunden ethnographische Forschung in 13 Einrichtungen, in denen teilnehmend Interaktionen zwischen Kindern (untereinander) und Erwachsenen beobachtet wurden. Die 103 Beobachtungsprotokolle wurden der Intersektionalen Mehrebenenanalyse nach Winker und Degele (2009) unterzogen. Diese Methode ermöglicht, nicht nur absichtsvolle Akte der Differenzierung und Hierarchisierung zu erfassen, sondern auch identifizierende und hierarchisierende Kategorisierungen auf der sozial-strukturellen, institutionellen und symbolisch-repräsentativen Ebene zu berücksichtigen. Somit werden die Einflüsse sichtbar, die institutionelle Strukturen und symbolische Respräsentationen auf die Subjekte haben sowie die Wechselwirkungen zwischen diesen Ebenen und den identifizierenden Kategorien wie Gender, Ethnizität/Rasse-Konstruktionen oder Beeinträchtigung.
Wie Candace West und Don Zimmerman (1987) in ihrem Konzept des „doing gender“ und Judith Butler (1990, 1993) in ihrer Performativitätstheorie deutlich gemacht haben, braucht es nicht immer Worte, um Bedeutung zu transportieren. ‚Wissen‘ über Differenz erfahren Kinder bereits durch die Einrichtungen in ihren Kindergärten, die Kleidung, die ihnen angezogen wird, das Spielzeug, das ihnen zur Verfügung gestellt wird und die Bilderbücher, die sie anschauen, um nur einige Beispiele zu nennen. Sie ‚lernen‘, ein Mädchen* oder ein Junge* zu sein, um ‚keine Schwierigkeiten zu bekommen‘, indem sie sich etwa als Mädchen* mit anderen Kindern prügeln. Im Forschungsprojekt konnten wir zahlreiche Situationen beobachten, in denen sich Kinder den Normen unterwarfen, sie re-/produzierten, aber auch Widerstand leisteten, indem sie protestierten oder auf subtile Weise Bedeutungen performativ verschoben. Die ‚arabischen‘ Jungs*, die beim Räuber und Gendarm-Spiel automatisch von den autochthonen Kindern auf die Rolle der Diebe verwiesen wurden, verweigerten sich dieser Zuordnung. Im Stuhlkreis wurden die Kinder von der Elementarpädagogin* gefragt, was denn ihre Väter zuhause machten und sie antworteten: „mit uns spielen“, „Frühstück machen“, doch die Pädagogin* gab sich nicht zufrieden und fragt skeptisch: „nein, was macht der Papa? Er streicht den Zaun! ...“, bis einige Kinder brav antworten: „Er repariert den Swimmingpool der Oma“, .... Die Kinder re-/produzierten hierarchisierende Differenzkonstruktionen jedoch auch unaufgefordert und mit Emphase. Die Mädchen* trugen Rosa und Schleifen im Haar und ließen andere Mädchen*, die sich nicht ‚feminin‘ kleideten, wissen, dass sie ‚blöd‘ aussehen und bei der Modenschau nicht mitmachen dürfen. Burschen* trugen ‚Superman‘ auf ihren T-Shirts und weigerten sich, Mädchen* auf ihre Reifen-Schaukel zu lassen. Weiße* Burschen* sagten sogar zu dunkelhäutigen Mädchen*, die bei ihrem Kartenspiel mitmachen wollten: „Keine Braunen* hier am Tisch!“
Es braucht keine (Kosten-)aufwändigen Programme, um dem ‚Doing Difference‘ im Dienst der Re-/Produktion gesellschaftlicher Machtverhältnisse und Hierarchien in der Elementarpädagogik entgegenzuwirken. Es braucht lediglich die Umsetzung diversitätssensibler, machtkritischer Pädagogik in der Ausbildung und Praxis der Elementarpädagogik. Entsprechende Konzepte liegen seit vielen Jahren vor. Das Forschungsprojekt verweist auf die Dringlichkeit, diese Konzepte endlich auch in Österreich umzusetzen.
Zeitraum | 26 Sep. 2022 → 28 Sep. 2022 |
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Gehalten am | Universität für Weiterbildung Krems, Österreich |
Bekanntheitsgrad | International |
Schlagwörter
- Elementarpädagogik
- Intersektionalität
- Migration
- Rassismus
- Critical Whiteness